In Todesnähe

Nach dem 1:1-Unentschieden zwischen Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart greifen die Trainer der Teams zu drastischen Worten. Doch im Grunde sind sie nur froh, etwas Zeit gewonnen zu haben

AUS LEVERKUSEN ERIK EGGERS

Er lächelte milde, dabei war Michael Skibbe nur knapp dem Sensenmann entronnen. Ziemlich lebensbedrohlich jedenfalls klang die Analyse des neuen Trainers von Bayer Leverkusen nach seiner nur semioptimal geglückten Heimpremiere am Sonntagabend. Ihm zufolge nämlich war das 1:1 gegen den VfB Stuttgart ein Ergebnis, „das uns leben lässt“. Offenbar hatte Skibbe länger darüber nachgedacht, was wohl passiert wäre, hätte sich sein Team ähnlich mies präsentiert wie noch eine Woche zuvor in Mainz. So blieb es zwar auch im zweiten Spiel sieglos. Doch obwohl es in der Tabelle weiter „auf der Stelle tritt“, verzeichnete Skibbe „einen deutlichen spielerischen und kämpferischen Fortschritt“.

VfB-Coach Giovanni Trappatoni blies ins gleiche Horn. Der Italiener steht wie Skibbe unter starkem Druck. Er muss das Niemandsland der Tabelle verlassen und endlich den Anschluss an die Uefa-Cup-Plätze finden. Obwohl der Rückstand auf Platz fünf nun für beide Teams auf sechs Punkte gewachsen ist, wirkte auch Trappatoni nicht unglücklich nach dem Punktgewinn. Er ließ via Dolmetscher einen „Wachstumsprozess“ verkünden und war sich sicher, „dass meine Mannschaft die Kontinuität bekommt, die man benötigt“. Nur einmal verdüsterte sich seine Miene etwas – bei der Frage, ob er sein Rotationsprinzip aufgebe, da die Mannschaft nun stehe. Hier formulierte er wie sein Trainer-Nachbar drastisch: „Ich muss wechseln, sonst sind meine Spieler bis Weihnachten so erschöpft, dass sie praktisch tot sind.“

Die Vokabeln beider Trainer mögen ähnlich sein – die Probleme, mit denen sie sich in Zukunft zu beschäftigen haben, sind sehr unterschiedlich. Denn der VfB Stuttgart scheint das schon erreicht zu haben, was Leverkusen seit Beginn dieser Serie sucht, nämlich die wichtige Fähigkeit, das Spiel in der Defensive so eng zu machen, dass der Gegner keinen Raum zum Atmen bekommt. Der Gastgeber spielte am Sonntag jedenfalls, wie auch Trainer Skibbe einräumte, nur 25 Minuten auf taktisch hohem Niveau, insofern hat die „Reform“, die er während des vorwöchentlichen Straflagers in der spartanisch ausgestatteten Sportschule Hennef veranlasst hatte, nur partiell gegriffen. „In dieser Phase nach der Pause haben wir das umgesetzt, was wir trainiert haben“, freute sich Butt, „aber wir müssen jetzt dahin kommen, dass wir das auch 90 Minuten spielen.“ Nicht zufällig erzielte der Schweizer Mittelfeldspieler Tranquillo Barnetta, der neben dem Ukrainer Voronin zu den agilsten Akteuren Bayers zählte, auf Vorlage Athirsons die Leverkusener Führung.

Die Stuttgarter haderten zu Recht mit diesem Rückstand, denn es stellte sich heraus, dass Passgeber Athirson zuvor im Abseits gestanden hatte. Noch mehr ärgerten sie sich über eine klare Fehlentscheidung in der 31. Minute, als Schiedsrichter Perl ein reguläres Abstaubertor durch den starken serbischen Nationalspieler Danijel Ljuboja abpfiff – zuvor hatte Streller zauberhaft auf Hitzlsperger zurückgelegt, der jedoch am starken Butt scheiterte. Auch in zwei anderen Situationen fehlte es den engagierten Schwaben an Glück. Einmal scheiterte Streller mit einem Volleyschuss aus vollem Lauf am Pfosten (42.), ein zweites Mal Ljuboja (64.). Überhaupt machte der VfB den viel reiferen und taktisch stärkeren Eindruck.

Die vielen Chancen des Gastes waren indes nicht zurückzuführen auf schwere mannschaftstaktische Mängel bei Leverkusen, sondern sie waren das Produkt „haarsträubenden Fehler“ (Skibbe) der brasilianischen Abwehrspieler. Dass Neuzugang Athirson kein Linksverteidiger ist, das stellte er am Sonntag erneut unter Beweis, als er den davongeeilten Streller mit einem Foul im Strafraum bedachte; den fälligen Strafstoß zum Ausgleich verwandelte Ljoboja in der 73. Minute. Auch an die Tatsache, dass Innenverteidiger Roque Junior in der Bundesliga nur selten die Klasse erreicht, die er bei seinen Einsätzen in der Selecao demonstriert, hat man sich längst gewöhnt in Leverkusen. Jetzt aber schwächelt auch noch Juan, der zweite Innenverteidiger von Weltformat. Der 26-Jährige leistete sich am Sonntag schwere Stellungsfehler und verlor einige Schlüsselduelle, wofür Skibbe keine Erklärung liefern konnte. „Alle drei waren Schwachpunkte“, stellte er fest, „so kann man nicht zu null spielen.“ Beinahe hätten sie ihn in den Tod getrieben, in den sportlichen.